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Digitale Armut und Soziale Gerechtigkeit

von | Jun 27, 2023 | Allgemein | 0 Kommentare

Am Freitag findet an der Hochschule München ein Fachtag zum Thema „Armut als (wenig sichtbares) Querschnittsthema in Lehre, Forschung & Praxis?“ statt. Ich werde einen Workshop zum Thema „Digitale Armut“ anbieten und habe bei der Vorbereitung dieses Themas auch einen „blinden Fleck“ bei mir entdeckt. Denn wenngleich ich mich viel mit dem Thema Digitaler Teilhabe und Digitaler Ungleichheit beschäftigt habe, so habe ich den Faktor „Armut“ hierbei oftmals nicht so explizit in den Blick genommen. Insofern habe ich die Vorbereitung auf diesen Fachtag auch zum Anlass genommen, mich etwas tiefergehend mit einer armutsbedingten digitalen Exklusion zu beschäftigen. Meine Gedanken dazu, habe ich in diesem Blogpost zusammengefasst.

Die Dimensionen der Digitalen Armut und ihre Auswirkungen auf die Soziale Gerechtigkeit

Die Digitale Transformation hat das Potenzial, traditionelle Ungleichheiten zu überwinden und neuartige Formen des Engagements und der Teilhabe zu ermöglichen. Allerdings offenbart die Betrachtung des Phänomens der „digitalen Armut“, also die ungleiche Verteilung von digitalem Zugang und Kompetenz, dass dieser Prozess nicht ohne Risiken einhergeht. So geht es insbesondere um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und daher ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema der digitalen Armut von zentraler Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Forschung. Dies wurde auch in der kürzlich von der Paritätischen Forschungsstelle veröffentlichten Expertise „Armut und digitale Teilhabe“ deutlich.

Die Bedeutung des Digitalen Zugangs und die Rolle von Einkommensarmut

Digitaler Zugang geht weit über die physische Verfügbarkeit von Technologien hinaus. Er umfasst auch Aspekte wie die Fähigkeit, diese Technologien effizient zu nutzen (digitale Kompetenzen/Medienkompetenz), sowie soziale und kulturelle Aspekte des Technologiegebrauchs. Hier zeigt sich, dass der Zugang zu digitalen Ressourcen von sozioökonomischen, kulturellen und Bildungsaspekten beeinflusst wird und somit eng mit sozialer Ungleichheit verknüpft ist (Kutscher 2010).

Zusätzlich zur Einkommensarmut beeinflussen jedoch auch andere soziodemografische Faktoren wie Geschlecht, Alter, Behinderung und ethnische Herkunft den Zugang zu und die Nutzung von digitalen Technologien. Hier sollten wir eine intersektionale Betrachtungsweise berücksichtigen, die es ermöglicht, die Vielschichtigkeit der Ungleichheiten der digitalen Armut zu berücksichtigen. So sind zum Beispiel ältere Frauen eine besonders benachteiligte Gruppe in Bezug auf digitale Teilhabe. Dies könnte auf mehrere sich überschneidende Faktoren zurückgeführt werden: Erstens kann ihr Zugang zu Technologie aufgrund traditioneller Geschlechterrollen eingeschränkt sein. Zweitens können sie aufgrund ihres Alters Schwierigkeiten haben, sich neue digitale Fähigkeiten anzueignen, besonders wenn sie nicht regelmäßig mit diesen Technologien umgehen. Darüber hinaus können sie aufgrund von Altersarmut, die insbesondere Frauen betrifft, Schwierigkeiten haben, sich die notwendige Technologien anzuschaffen. (siehe hierzu auch D21 Gender Digital Gap)

Eine neue Studie der Paritätischen Forschungsstelle zeigt, dass Einkommensarmut erhebliche Auswirkungen auf den digitalen Zugang und damit auch auf die Möglichkeit am digitalen Leben teilzuhaben hat. Die aktuelle Höhe des Regelsatzes in der Grundsicherung von 502 Euro und der darin vorgesehene Anteil für den „Kauf und die Reparatur von Festnetz– und Mobiltelefonen sowie anderer Kommunikationsgeräte” von gerade einmal 3,34 Euro monatlich ist, nicht ausreichend, um ein Mindestmaß an digitaler Teilhabe zu gewährleisten.

Die Rolle von Sozialen Trägern bei der Förderung digitaler Teilhabe

Die Expertise hebt u.a . die wichtige Rolle hervor, die soziale Träger bei der Förderung von digitaler Teilhabe spielen. Insbesondere wenn es um vulnerable Gruppen geht, müssen soziale Träger und Einrichtungen Angebote und Maßnahmen zur Förderung digitaler Teilhabe schaffen. Hierfür benötigen die Träger jedoch eine adäquate technische Ausstattung und mehr Bildungsangebote zur Vermittlung von Digitalisierungswissen. Und auch die Fachkräfte selbst müssen entsprechene Kompetenzen besitzen, um dieser Aufgabe auch fachlich angemessen nachkommen zu können.

Digitale Armut und ihre Folgen für die Gesellschaft

Nun sind die Auswirkungen der Digitalen Transformation auf unsere Gesellschaft vielfältig und werden oftmals ambivalent diskutiert. Auf der einen Seite bietet die fortschreitende Digitalisierung neue Möglichkeiten der Kommunikation, Information und Teilhabe. Auf der anderen Seite verstärkt die ungleiche Verteilung von digitalem Zugang und den notwendigen Nutzungskompetenzen bestehende soziale Ungleichheiten und kann neue Formen der Marginalisierung hervorbringen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass armutsbetroffene Menschen bei der digitalen Teilhabe im beruflichen Leben deutlich zurückbleiben. So nutzen von Armut betroffene Menschen deutlich seltener digitale Arbeitsmittel wie Laptop, Smartphone oder Tablet, sowie Programme und Apps für Nachrichten.

Digitale Angebote des Staates und ihre Ausgestaltung

In der Expertise wird auf einen weiteren wichtigen Punkt hingewiesen, nämlich der Rolle von Politik und Gesetzgebung. Durch die zunehmende Digitalisierung von Staat und Verwaltung ist es zwar durchaus möglich, politische Prozesse transparenter und partizipativer zu gestalten. Und dies ist zunächst als Vorteil zu bewerten. Allerdings stellen sich auch neue Anforderungen an die Bürger:innen, die nicht ohne Weiteres von allen gleichermaßen erfüllt werden können. Digitale Angebote des Staates sollten daher darauf ausgelegt sein, alle Menschen zu erreichen und zu befähigen. Und ebenso braucht es weiterhin die Möglichkeit, ohne Androhung oder Durchführung von Sanktionen beispielsweise Sozialleistungen auch nicht-digital in Anspruch nehmen zu können. Politische Maßnahmen können also eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der digitalen Landschaft und der Verringerung digitaler Ungleichheiten spielen.

Strategien zur Förderung Digitaler Teilhabe

Welche Strategien können nun bei der Bekämpfung digitaler Armut verfolgt werden? Und wie sehen wirksame Maßnahmen zur Förderung digitaler Teilhabe aus? Neben dem Ausbau digitaler Infrastrukturen benötigen wir vor allem Maßnahmen zur Steigerung der digitalen Kompetenzen und nicht zuletzt den Zugang zu den technischen Ressourcen. Die Expertise unterstreicht daher die Notwendigkeit, die Grundsicherung auf ein bedarfsgerechtes, armutsfestes Niveau anzuheben, welches auch die laufenden Verbrauchsausgaben zur Sicherstellung digitaler Teilhabe angemessen berücksichtigt.

Die Notwendigkeit der Förderung Digitaler Teilhabe

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft ist die Förderung digitaler Teilhabe nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der gesellschaftlichen Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Es ist daher auch eine wichtige Aufgabe Sozialer Arbeit, digitale Armut zu bekämpfen und sich für mehr digitale Teilhabe einsetzen, um zu gewährleisten, dass niemand in einer zunehmend digitalisierten Welt zurückgelassen wird.

Quellen & Links:

Initiative D21 (Hrsg.) (2020): Digital Gender Gap. Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt. https://initiatived21.de/uploads/03_Studien-Publikationen/Digital-Gender-Gap/d21_digitalgendergap.pdf

Kutscher, N. (2010). Digitale Ungleichheit: Soziale Unterschiede in der Mediennutzung. In: Cleppien, G., Lerche, U. (eds) Soziale Arbeit und Medien. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92376-5_10

Schabram, G. / Schulze, K. / Stilling, G. (2023): Armut und digitale Teilhabe. Empirische Befunde zur Frage des Zugangs zur digitalen Teilhabe in Abhängigkeit von Einkommensarmut. Kurzexpertise der Paritätischen Forschungsstelle unter: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Seiten/Presse/docs/Kurzexpertise_digitaleTeilhabeArmut.pdf