Ich muss gestehen, ich bin etwas ernüchtert. Nicht etwa von ChatGPT und dem, was GPT4 nun an Verbesserungen und beeindruckenden Fähigkeiten präsentiert. Mich ernüchtert eher die Diskussion um die Frage, was ChatGPT für die (textbasierte) Onlineberatung bedeutet und bedeuten wird. Denn die findet nicht wirklich statt.
So hat sich in den letzten Monaten weder der einzige Fachverband für Onlineberatung (DGOB e. V.) hierzu in irgendeiner Form öffentlich geäußert, noch findet man bei den Trägern von Onlineberatungsangeboten hierzu nennenswerte Statements. Dabei haben scheinbar alle in den zurückliegenden Wochen zumindest einmal mit ChatGPT gespielt. Und zwar in der Regel mit dem Prompt an ChatGPT, doch bitte mal zusammen zu fassen, wer oder was die eigene Organisation sei, um dann zu staunen, dass der Textgenerator dies kann.
Was mir fehlt ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Chancen, die ChatGPT oder Text-, Bild- und Videogeneratoren für die Onlineberatung bieten könnten. Und selbst wenn ich ChatGPT selbst zu dieser Frage bemühe, kommt momentan mehr Output, als auf anderer Ebene.
Die Soziale Arbeit muss sich jetzt mit den aktuellen Fragen beschäftigen
Genug gemeckert, mich treibt vielmehr die Sorge, dass die Soziale Arbeit und Beratungswelt mal wieder eine wichtige Chance verpasst. Nämlich sich rechtzeitig und unmittelbar mit einer der vermutlich größten Disruptionen der Onlinewelt zu beschäftigen.
Zunächst einmal halte ich es für wichtig, dass alle Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit wissen, was ChatGPT ist und kann. Dies kann man relativ gut in 20 Minuten vermitteln und dabei noch viele schöne Beispiele vorstellen, die sicher eine Wirkung haben. Auch wenn man nicht unmittelbar in der Beratung von Klient:innen tätig ist, ist es wichtig zu wissen, was aktuell passiert und sich mit der Frage zu beschäftigen, mit welchen Auswirkungen auf das eigene Arbeitsfeld zu rechnen ist. In der freien Wirtschaft laufen schon seit Langem hierzu Diskussionen und es wird geprüft, wo die KI künftig die menschlichen Mitarbeiter:innen ersetzen kann.
Und nein, das bedeutet nicht, dass Sozialarbeiter:innen in Zukunft überflüssig werden und nun sukzessive von Chatbots und Robotern abgelöst werden. Es bedeutet aber schon, dass diese Gefahr droht, wenn sich die Profession hierzu nicht klar positioniert. Und um sich positionieren zu können, bedarf es einer reflektierten Auseinandersetzung.
Für den Bereich der Beratung/Onlineberatung bedeutet dies aus meiner Sicht zunächst folgendes: Bevor in Widerstand und Ablehnung gegangen wird, gilt es zu diskutieren, welche Vorteile die Nutzung eines Textgenerators bringen könnte. Hierbei sind unterschiedliche Szenarien denkbar: Vom Chatbot, der einfache Standardanfragen beantwortet (gibt es ja bereits längst), bis hin zur aktiven Nutzung eines Textgenerators, um die eigene Beratungsantwort zu verfassen. Und eben viele Schritte dazwischen.
Es geht geht für die Beratung (noch) nicht um ‚entweder Mensch oder KI‘
In einem Kommentar auf LinkedIn las ich neulich „Der Mehrwert von Beratungen durch Menschen wird besser definiert werden müssen.“ Das sehe ich grundsätzlich auch so, würde aber zunächst zu einer weiteren Perspektive auf das Thema einladen wollen: Wenn es uns gelingen würde KI/Chatbots nicht dem Menschen gegenüberzustellen und ein ‚entweder/oder‘ zu diskutieren, weitet sich der Horizont der Möglichkeiten.
Interessanter als sich mit der Frage ‚wann werde ich von der Maschine ersetzt?‘ (die wohlgemerkt für die Soziale Arbeit nicht so einfach zu beantworten ist, wie in anderen Branchen) zu befassen, sollten sich Professionelle damit beschäftigen, wie die Maschine ihre Arbeit sinnvoll unterstützen könnte.
Was spricht dagegen, bei einer komplexen Beratungsanfrage den Textgenerator einzusetzen, um erste Anregungen zu erhalten? Wieso sollten gelungene Textabschnitte nicht 1-1 übernommen und an Klient:innen geschickt werden? Müssen Klient:innen wissen, dass Beratende einen Textgenerator genutzt haben? Und natürlich wie immer: Wie gehen wir mit den datenschutzrelevanten Fragen um?
Diese und viele weitere Fragen müssen dringend diskutiert werden. Nicht zuletzt, da davon auszugehen ist, dass Praktiken dieser Art bereits von Einzelnen umgesetzt werden! Die Kompetenzen auf Seiten der Beratenden sind jedoch vermutlich sehr unterschiedlich ausgebildet. Daher brauchen wir auch hier dringend Kompetenzbildung durch geeignete Qualifizierungsangebote und eine Sensibilisierung für die Umgang mit Systemen dieser Art.
Fragen der Professionalität und Theoriebildung stehen im Fokus
Es geht aber auch um Fragen der eigenen Professionalität: Wie gehe ich als Berater:in damit um, wenn der Chatbot ‚besser‘ schreibt als ich? Könnte dies ein Lernfeld und eine neue Art der Selbstreflexion bedeuten? Oder wäre sogar denkbar, dass der Chatbot eine supervidierene Qualität erhalten könnte, wenn der:die Supervisor:in gerade nicht erreichbar (oder gar nicht vorhanden) ist?
Eine aus meiner Sicht weitere nicht zu vernachlässigende Perspektive: Was beschäftigt die Ratsuchenden? Es ist anzunehmen, dass einige sich gerade jetzt die Frage stellen, ob sie mit einem Menschen oder einem automatisierten System in der Beratung zu tun haben. Die Einrichtungen, die Blended Counseling anbieten, können mögliche Bedenken hierzu vielleicht leichter auflösen als reine Onlineberatungsangebote.
Und nicht zuletzt: Welchen Platz erhalten KI-Systeme dieser Art in der Theoriebildung um Beratung. Die Deutsche Gesellschaft für Beratung beschreibt ihr Beratungsverständnis folgendermaßen:
„Beratung ist subjekt-, aufgaben- und kontextbezogen. Sie ist eingebettet in institutionelle, rechtliche, ökonomische und berufsethische Rahmenbedingungen, innerhalb derer die anstehenden Aufgaben, Probleme und Konflikte dialogisch bearbeitet und geklärt werden. Ein Ergebnis des Beratungsprozesses ist nur kooperativ erreichbar. Beratung ist eine personen- und strukturbezogene soziale Dienstleistung. Sie setzt somit eine gemeinsame Anstrengung und Leistung aller Beteiligten (BeraterIn / Beratene und ggf. Kostenträger) und klare Zielvereinbarungen voraus.“ (Quelle)
Stellt sich die Frage, ob zu den ‚Beteiligten‘ in Zukunft auch KI-Systeme zu zählen sind?