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Achtsame Sprache in der Onlineberatung

von | Jan 13, 2022 | Allgemein, Online-Supervision, Onlineberatung | 0 Kommentare

In meinem letzten Newsletter habe ich mich mit dem Thema „achtsamer Umgang mit Sprache in der schriftbasierten Onlineberatung“ beschäftigt. Mein Fokus in dem kurzen Newslettertext war vor allem die Frage der Anrede. Viele Berater*innen stellen mir in Schulungen immer wieder die Frage: „Soll ich in einer Mail an meine*n Klienten*in das ‚Du‘ oder ‚Sie‘ in der Anrede verwenden“. Wie so oft gibt es auch hierfür kein Patentrezept. Es spielen viele Faktoren eine Rolle: In welchen Kontext findet die Beratung statt, welche Beziehung besteht zu der ratsuchenden Person, findet die Onlineberatung für beide Seiten anonym statt, wird es einen Kontakt in der Präsenz geben usw.

Mit all diesen Fragen müssen sich Berater*innen auseinander setzen – online wie offline. Und hierbei kommt es eben auch darauf an, was man persönlich mit einem ‚Du‘ oder ‚Sie‘ verbinden. Für manche bedeutet die Du-Form mehr Nähe und eine Anrede, die sie nur mit Personen pflegen, die sie persönlich gut kennen. Andere wiederrum nutzen das ‚Du‘ auch im Kontakt mit Menschen, die ihnen völlig fremd sind – meistens dann im Netz, z. B. in Sozialen Medien.

Es geht also immer wieder um ein Abwägen, welche Form der Anrede für den Beratungskontakt angemessen ist und um eine Reflexion darüber, welchen Unterschied die jeweilige Anredeform machen könnte. Wie es bei unseren Ratsuchenden ankommt, wissen wir letztlich nicht (außer sie teilen es uns mit, was meiner Erfahrung nach aber eher selten vorkommt).

Auch im mündlichen Gespräch passen wir uns an

Neben der Form der Anrede geht es aber beim schriftlichen Kontakt mit Ratsuchenden (und im Übrigen auch mit anderen Personen, wie Kolleg*innen, Netzwerkpartner*innen usw.) auch ganz grundsätzlich darum, achtsam mit Worten umzugehen. Als Beratende sind wir das in der Regel auch aus der mündlichen Präsenzberatung gewöhnt. Die meisten von uns nutzen vermutlich eine eher lösungsorientierte Sprache. Wir bemühen uns unser sprachliches Niveau an unser Gegenüber anzupassen. Und wir versuchen authentisch zu bleiben, wenn wir als Erwachsene mit Kindern oder Jugendlichen kommunizieren (und nicht in peinliche Versuche einen Jugendslang zu imitieren abgleiten).

Ich höre in Fort- und Weiterbildungen zur schriftlichen Onlineberatung immer wieder von den Bedenken, dass „wenn man eine Mail schreibt, steht ja alles so da, wie man es ‚gesagt‘ hat“. Häufig berichten Berater*innen dann von der Sorge, was die Ratsuchende Person mit diesem Text machen könnte (z. B. ihn Dritten zu zeigen). Diesen Gedanken finde ich insofern spannend, weil sich daraus für mich immer die Frage ergibt: „Aber was sagt das über die Qualität Deiner mündlich geführten Beratung aus?“

Im Gespräch sind wir es gewohnt, noch im Sprechen umzuschwenken, da wir auf mimische oder gestische Signale unserer Gesprächspartner*innen reagieren. Beim Schreiben ist dies nicht möglich, weil wir keine unmittelbare Resonanz zu dem Geschriebenen bekommen (Es wäre doch spannend, wenn wir unsere Klient*innen mal dabei beobachten könnten, wie sie unsere Mailnachrichten lesen…). Natürlich geht es bei der obigen Aussage für viele Berater*innen auch um Zwischentöne: Es gibt Dinge, die man im mündlichen Gespräch mitteilen würde, die wir aber nicht verschriftlichen würden. Meistens ist dies ein „Unter uns gesagt…“. Und bei anderen Aussagen könnte ein missverständlicher Eindruck entstehen, wenn sie aus dem Kontext der gesamten Nachricht gerissen werden.

Schreiben heißt uns selbst beim Beraten zuzuschauen

Insofern ist es richtig: „Das steht dann echt so da!“ und darum muss ich als Berater*in im schriftlichen Kontakt noch mehr über das Nachdenken, was ich schreibe und wie ich es schreibe. Daraus können wir aber auch für die mündliche Beratung lernen: Genauer zu überlegen, uns mehr Zeit zu lassen bei einer Antwort und achtsam zu formulieren. Das ist manchmal anstrengend – schriftlich wie mündlich. Aber es sollte uns auch bewusst sein, dass (mindestens) eine große Chance darin verborgen liegt: Es zwingt uns dazu, uns beim Beraten selbst zuzusehen. Wir reflektieren unser Handeln also schon im Prozess und nicht erst Wochen oder Monate später in der Supervision, in der wir uns auf unsere subjektive Erinnerungen an das Gespräch mit der ratsuchenden Person verlassen müssen.

Onlineberatung und Achtsamkeit – zwei Aspekte, die umittelbar zusammen gehören. Nicht nur in der Verwendung unserer Sprache, sondern auch im Umgang mit uns selbst. Aber dazu später einmal mehr…