Seit fast 20 Jahren bringe ich in unterschiedlichen Funktionen und Rollen anderen Menschen bei, wie sie gute Onlineberatung machen können. Die Schulungen und Workshops fanden oft in Form von Präsenzveranstaltungen statt, noch öfter als Blended Learning Veranstaltungen bei denen vor allem in den Onlinephasen dann praktisch geübt wurde. Den Nutzen der Präsenzveranstaltungen habe ich für die inhaltliche Themenvermittlung schon immer etwas fragwürdig gefunden – im Sinne von „es gilt den Nutzen zu hinterfragen“. Gut waren sie aber sicherlich immer für die Vernetzung der Teilnehmenden und auch, um mal einen oder mehrere Tage miteinander zu verbringen.
Seit letztem Jahr mache ich jetzt etwas Neues: Ich bringe Menschen online bei, wie sie in der Präsenz beraten können. Hä!? Ja genau, das habe ich mir auch mehrmals gedacht. Die Pandemie macht’s möglich, könnte man sagen. Natürlich sind im Laufe des ersten Pandemie-Jahres viele neue Lehr-/Lernformate entstanden und eines davon ist die Online-Lehre im Kontext der Weiterbildung zum*zur systemischen Berater*in.
Total spannend: Wie bringt man denn nun Menschen in einem Onlinesetting bei, was sie dann „offline“ umsetzen sollen. Da hat mir aber – neben der schon vorhandenen Online-Lehrerfahrung aus der Onlineberatungs-Weiterbildung – tatsächlich geholfen, das Lehr-/Lernsetting nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Online-Lehre bringt ganz offensichtlich eine Menge Vorteile, aber natürlich auch einige Nachteile. Die will ich an dieser Stelle gar nicht wiederholen, zumal jede*r Lehrende und Lernende es individuell ganz anders bewertet. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht jedoch, dass die oftmals gegenübergestellten Rollen „Lehrende*r vs. Lernende“ im Onlinesetting noch weniger Sinn machen.
Zurück zum konkreten Kurs: Wie gelingt es nun, Menschen die Kompetenzen in systemischer Beratung erwerben möchten und diese Form der Beratung zukünftig vor allem in der Präsenzberatung nutzen möchten, diese online zu vermitteln? Zunächst einmal: Derzeit findet nach wie vor viel Beratung online, zumeist per Videoschalte, statt. Insofern werden die erworbenen Kompetenzen in vielen Fällen auch im Onlinesetting weiter eingeübt. Interessant wäre nun also zu fragen, inwieweit sich die (angehenden) systemischen Berater*innen dann auch in Präsenzsettings sicher und kompetent fühlen. Dazu werden wir vermutlich in ein paar Monaten erste Erkenntnisse haben (da muss doch jemand mal zu forschen, mh!?).
Die Wissensvermittlung selbst unterscheidet sich ja auch zunächst einmal gar nicht so sehr von der Präsenz. Im besten Fall sind Impulsvorträge kürzer und interaktiver gestaltet, als sie es üblicherweise bei der Präsenzlehre sind, damit die Teilnehmenden, die in der Regel zu Hause vor dem Rechner sitzen, aktiviert dabei bleiben. Kniffliger wird die Sache tatsächlich, wenn es darum geht in Form von Rollenspielen oder Demos das theoretisch erlernte in die Praxis zu transferieren. Da sind wir wieder beim Punkt oben: Das simulierte Paarberatungsgespräch oder die Sitzung mit der Familie wird zunächst online geübt. Das Setting ist also anders, als es in der Präsenz wäre. Ich wüsste jetzt z. B. gerne, ob sich die Beratenden sicher(er) fühlen, da sie nicht so unmittelbar (im Sinne einer physischen Kopräsenz) in Kontakt mit dem Klientensystem sind oder ob gerade dies zu Unsicherheiten führt.
Es gäbe noch unzählige weitere Fragen, die in diesem Zusammenhang zu erforschen wären. Für mich persönlich ziehe ich als Lehrende die Bilanz: Onlinelehre ist immer gut – ob es um Onlineberatung oder Präsenzberatung geht. Und ohnehin wird immer deutlicher, dass die Trennung von einer „Onlinewelt“ und einer „Präsenzwelt“ (oft dann als „echte Welt“ bezeichnet) immer weniger sinnvoll ist. Gleichwohl vermisse ich auch die Präsenzlehre hier und da. Die Möglichkeit von Spontanität und der Wahrnehmung der Gruppendynamik (die online und offline ähnlich aber doch unterschiedlich ist) erlebe ich in der Präsenz anders.
Aber da sind wir wieder beim Systemischen: Ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Gut so!